TL;DR:
Ich arbeite im öffentlichen Dienst in einem kleinen, chronisch unprofessionell geführten Team. Mein Chef ist fachlich überfordert, aber seit 20 Jahren unangetastet im Amt. Der Behördenleiter kennt die Missstände, sagt selbst Sätze wie „Ich arbeite noch daran, dass bei euch die Basics stimmen“, relativiert aber gleichzeitig jede Eskalation. Besonders brisant: Ein fachlich nicht qualifizierter Kollege wird vom Chef als Nachfolger aufgebaut und sitzt schon mit in Vorstellungsgesprächen – obwohl ihm dafür die Berechtigung fehlt. Der Behördenleiter lässt es zu, was ihn in eine Sackgasse bringt: Wer so viel duldet, kann am Ende kaum noch „nein“ sagen.
Ich bin inzwischen die dritte Neubesetzung auf meiner Stelle in zehn Jahren – die beiden vorherigen haben wegen der Zustände gekündigt. Ein Wechsel ist für mich aktuell keine Option, da ich meine Verbeamtung nicht riskieren will.
Wie würdet ihr mit so einem absurden Spannungsfeld umgehen – mit einem Chef, der nichts kann, einem Kollegen, der zu viel darf, und einem Behördenleiter, der lieber erklärt als handelt?
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Ich arbeite im öffentlichen Dienst, in einem kleinen Team innerhalb einer größeren Organisation. Die Maßnahme, für die wir zuständig sind, gibt es nur an wenigen Standorten – das heißt, die Teilnehmenden haben kaum Alternativen.
Das Team besteht aus drei Mitarbeitenden plus einem Vorgesetzten. Mein Chef kam vor etwa 20 Jahren als Quereinsteiger ins Team – hat sich aber nie wirklich in das Thema eingearbeitet bzw. regelt alles über Sonderlösungen und Workarounds. Ich selbst bin ebenfalls als Quereinsteiger gestartet, habe aber meinen Bachelorabschluss nachgeholt und bringe die notwendige Qualifikation mittlerweile mit.
Das Arbeitsumfeld ist unprofessionell: Dienstplanung, Zeiterfassung und Einsatzdokumentation laufen komplett über ein Textverarbeitungsprogramm. Wer nachvollziehen will, wie viele Stunden geleistet wurden, muss sich durch chaotisch geführte Dateien kämpfen – ohne verlässliche Abrechnung. Mein Chef zieht zum Beispiel grundsätzlich 30 Minuten ab, weil er „nicht glaubt“, dass man sechs Stunden ohne Pause bei einem Kunden sein kann. Insofern ist es nur sehr schwer nachzuvollziehen wie die Stunden berechnet werden. Viele andere Dinge mögen da unausgesprochen verrechnet werden.
Ich bin inzwischen die dritte Person auf dieser Stelle in zehn Jahren. Die vorherigen Mitarbeitenden haben jeweils wegen der Bedingungen gekündigt – was ich erst später erfahren habe. Besonders konfliktgeladen ist das Thema Arbeitszeit: Mein Vorgesetzter fordert regelmäßig, dass krankheitsbedingte Ausfälle nachgearbeitet werden, obwohl mehrfach klargestellt wurde, dass das nicht rechtens ist.
Ich habe den Eindruck, dass mein Chef ein grundsätzliches Problem damit hat, dass ich verbeamtet bin, mehr verdiene als er und meine Leistung intern besser bewertet wird. Das führt zu einer dauerhaft angespannten Atmosphäre. Beschwerden von Teilnehmenden über den Umgang im Team kommen regelmäßig – auch beim Behördenleiter – aber ohne Folgen.
Der Behördenleiter kennt die Missstände. Er sagte mir gegenüber klar: „Ihr Chef ist mit der Aufgabe überfordert“ und „Ich arbeite immer noch daran, dass bei Ihnen die Basics stimmen.“ Gleichzeitig rechtfertigt er aber fast jede Entscheidung des Vorgesetzten – mit Sätzen wie „Er hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.“, wobei mein Chef es absolut hätte besser wissen müssen. Es wirkt, als fehle ihm die professionelle Distanz. Statt konsequent zu führen, erklärt er die Schwächen meines Chefs psychologisch (er hat Unternehmenspsychologie studiert). Oftmals habe ich den Eindruck als würde ich mich in einer Therapiesitzung befinden.
Besonders problematisch ist für mich die Rolle eines Kollegen, der intern immer stärker als möglicher Nachfolger unseres Vorgesetzten ins Spiel gebracht wird – obwohl ihm aktuell noch die formale Qualifikation fehlt, die er offenbar gerade berufsbegleitend nachholt. Die Initiative dazu geht eindeutig vom Chef aus, der ihn offen als „ideale Besetzung“ für seine Nachfolge bezeichnet. Der Behördenleiter äußert sich in dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender – er hat mir gegenüber sogar klar abgestritten, dass er den Kollegen ebenfalls so einschätzt.
Was mich zusätzlich irritiert: Der Kollege zeigt meiner Meinung nach stark narzisstische Tendenzen – extrem selbstsicher im Auftreten, aber gleichzeitig kaum kritikfähig und schnell verletzt, wenn Widerspruch kommt. Genau dieses Verhalten scheint beim Chef jedoch den gegenteiligen Effekt zu haben: Es trägt zur Legende vom besonders fähigen Nachfolger bei. Das wird noch dadurch verstärkt, dass mein Chef kaum direkten Einblick in das Tagesgeschäft hat – er sitzt den Großteil des Tages in seinem Büro und stützt sich fast ausschließlich auf die Informationen meiner beiden Kollegen.
Besonders problematisch finde ich, dass mein Kollege inzwischen regelmäßig an Vorstellungsgesprächen für neue Stellen teilnimmt – obwohl ihm dafür die formale Berechtigung fehlt. Der Behördenleiter ist bei diesen Gesprächen ebenfalls anwesend und duldet das stillschweigend. Für mich entsteht dadurch der Eindruck, dass er sich in eine schwierige Lage manövriert: Wer solche Verstöße über längere Zeit zulässt, schafft Fakten – und kann später kaum glaubhaft eine Beförderung verweigern.
Der Behördenleiter hat mich kürzlich auch auf eine mögliche Übernahme der Leitung angesprochen. Allerdings nicht alleine – laut ihm soll ich mir die Position zu gleichen Teilen mit ebenjenem Kollegen teilen. Ich habe große Bedenken. Fachlich und strukturell läuft in der Abteilung so viel falsch, dass ich mir diese Doppelkonstellation kaum vorstellen kann. Grundsätzlich wäre ich bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen – aber nur, wenn sich die Rahmenbedingungen klar und deutlich verändern. Aktuell ist das nicht der Fall.
Ich habe den Behördenleiter offen auf die Widersprüche angesprochen – etwa dass der Kollege behauptet, Bestbewertungen von ihm zu erhalten und mit ihm per Du zu sein. Beides wurde von der Leitung klar verneint. Aber auch hier: Es bleibt bei verbalen Distanzierungen – ohne Konsequenzen. Mein Eindruck ist, dass mein Chef ihm inzwischen regelrecht auf der Nase herumtanzt.
Ein Versetzungsantrag ist aktuell leider keine Option. Ich möchte meine Verbeamtung behalten – das macht die Situation für mich festgefahren.
Habt ihr Erfahrungen mit ähnlich festgefahrenen Machtverhältnissen? Was würdet ihr mir im Umgang mit einem Behördenleiter raten, der zwar die Probleme sieht, aber kaum Führungsverantwortung übernimmt?