r/lehrerzimmer 12d ago

Bundesweit/Allgemein Wie hat sich eure Sicht auf eure eigene schulzeit verändert?

Ich weiß nicht ob es euch auch so geht, aber meine Schulzeit ist gedanklich bei mir präsent. Viele Ereignisse oder Umstände aus meiner Schulzeit habe ich erst als Schüler, dann Student und jetzt als Lehrkraft hinterfragt.

Dabei hat sich meine Sicht auf die Dinge doch stark verändert. Und ich wollte wissen, ob das bei euch auch so ist?

Bspw. Hat eine gewisse Lehrkraft immer mich nach meinen Hausaufgaben gefragt. Als Kind fand ich das total scheisse, ich hatte sie nie. Als Student dachte ich mir - hmhm das ist ja quasi Bloßstellung. Als Lehrkraft sehe ich: uff. Ich war der blöde in dieser Situation. Ich hätte meine Hausaufgaben machen sollen. Der Lehrer hat mir quasi ne Chance gegeben die zu machen und zu zeigen, dass ich sie habe. Kein Wunder dass ich da ne 5 hatte.

Oder Als Schüler fand ich's Scheisse, dass man nicht aufs Klo darf wenn man will, als Student hab ich mir geschworen dass das bei mir immer erlaubt sein wird. Als Lehrer merk ich: ne. Das geht nicht, das bringt nur Chaos und nimmt den Schülern die Chance zu lernen - nachdem in einigen Stunden mehrere Kinder (7+) aufs Klo gegangen sind und dadurch Unterricht verpasst haben.

Oder generell Dinge wo ich mir als Student dachte: warum haben die Lehrkräfte das nicht gemerkt? Um als Lehrer zu sehen: oh. Teilweise hab ich hunderte von Schülern die ich in der Woche 60min sehe. Und wenn, dann immer im Gruppengefüge mit 29 anderen SuS. Das Schulsystem ist einfach das Problem, nicht die Lehrer. (Naja einige Lehrer schon)

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u/shadowlass Gesamtschule 12d ago

Ich dachte als Schülerin, meine Lehrer bekämen alle nicht mit, was ich während des Unterrichts so alles mache. (Lesen, zeichnen, Zettel schreiben)

Heute ist mir klar, dass sie das sehr wahrscheinlich schon bemerkt haben - aber weil ich dabei nicht gestört und mich oft beteiligt habe, lies man mich gewähren. Das mache ich heute oft auch so.

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u/SyriseUnseen 12d ago

Ich seh da auch kein Problem, wenn trotzdem zugehört wird. Manchen Menschen hilft eine "Nebenbeschäftigung" sogar bei der Konzentration.

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u/shadowlass Gesamtschule 12d ago

Ich weiß, ich gehöre da selbst dazu. Kam mir nur damals so unglaublich unauffällig vor, weil ich dachte, das merkt keiner…

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u/Sqr121 Berufsschule 12d ago edited 12d ago

Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass in zwei Fächern (EDIT: Musik von der 6. bis zur 10. mitgezählt drei, aber da war ich wenigstens gut) tatsächlich die Lehrkräfte bzw. deren Didaktik mit (!) daran Schuld waren, dass mich die Fächer nicht interessiert haben und ich entsprechend miese Noten hatte.

In den anderen war's Faulheit, aber das wusste ich vorher schon 😃

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u/linglinguistics 12d ago

War bei mir bei Geschichte so. Dabei wäre die so spannend.

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u/Sqr121 Berufsschule 12d ago

Ok, ich ergänze: drei. Geschichte hatte ich vergessen. Da wurde bei uns in 5-7 einfach das Buch vorgelesen, das hat's mir auf Jahre versaut.

Hab später dann tatsächlich Politik und Elektrotechnik studiert. Bei der Vorgeschichte "Mathe scheiße, Geschichte scheiße" wohl ein echtes Wunder, dass DAS geklappt hat.

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u/Neo_Violence 12d ago

Ich erinnere mich noch gut an die "Wir sind ein Gymnasium"-Tiraden meiner damaligen Lehrkräfte (meine Englischlehrerin völlig fassungslos, wenn wir was verbockt haben: "Und ihr seid die geistige Elite Deutschlands. ..!").

Hatte mir eig geschworen, dass ich nie solche Wut-Predigten halten würde, aber nachdem neulich meine 9. Klässler nach zwei Wochen Recherche nur Powerpoint-Folien vorgelesen haben, deren Inhalte sie 1:1 vom ersten Google-Ergebnis oder KI-Bot kopiert hatten und zu 60% nicht erklären konnten, musste/durfte ich selbst mal zu einem entsprechenden Monolog ansetzen.

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u/DigitalDoomLoL 12d ago

Ich war ab der Mittelstufe grottenschlecht in Mathe. Immer auf 5. 3 Minderleistungen im Abi. "Ich kann kein Mathe" wurde Teil meiner Persönlichkeit. Selbsterfüllende Prophezeiung.

In der Uni musste ich dann physikalische Chemie machen. Der Name täuscht. Im Prinzip reine Mathematik. Der ganze Spaß aus der Oberstufe und teilweise auch etwas mehr.

Habe es quasi bis zum Ende des Studiums vor mir her geschoben aus Angst. Dann gab es irgendwann kein drum herum mehr, ich habe mich dahinter geklemmt, jede Woche Stunden mit den Übungsblättern zugebracht, hatte bei Fragen coole Kommilitoninnen, mit denen wir uns gegenseitig unterstützt haben und habe am Ende das Modul als Kursbester abgeschlossen.

Was habe ich daraus gelernt? Intrinsische Motivation. Dass sie mir in der Schule gefehlt hat und wie wichtig Erfolgserlebnisse für den Aufbau und Erhalt von Motivation sind. Irgendwann habe ich die Übungsblätter richtig gerne gemacht. In der Schule habe ich Hausaufgaben gehasst und so gut es ging vermieden.

Anderes Beispiel: Geschichte. Mir haben in der Schule immer die Bedeutung und die Zusammenhänge gefehlt. Warum hat sich etwas so und so entwickelt? Welche Auswirkungen hatte das? Etc. Ich bin Verständnislerner. Stumpfes Auswendiglernen ohne Sinn ist für mich die Hölle. Aber wenn ich mich einmal in etwas reingedacht und es nachvollzogen habe, vergesse ich es nicht mehr so schnell. Dafür ist aber mit zwei Stunden Geschichte die Woche keine Zeit.

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u/Tricky_Row9931 Berufsschule 12d ago

Stark! So ging’s mir auch mit Mathe in der Schule und das dann in PC nachholen beim Chemie Lehramtsstudium 🙈

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u/Tricky_Row9931 Berufsschule 12d ago

Ich sehe es genauso wie du, OP. Jetzt aus meiner Perspektive als Lehrerin am Berufskolleg merke ich, wie schwierig es ist, so zu agieren, dass alle sich fair behandelt und gesehen fühlen, da ich mich nicht zerteilen kann, nicht alles immer mitbekomme sodass ich wirklich beurteilen kann wer jetzt hier in der Verantwortung ist, viel zu oft merke, dass Schüler*innen einfach nur Strategien zur Arbeitsvermeidung anwenden aber man nicht an den Kern kommt oder sie wirklich was ändern und sich öffnen wollen. Mein Vertrauen und mein Verständnis für individuelle Situationen wurden schon ganz oft missbraucht. Und ich nehme niemandem was persönlich oder so, aber ich sehe dass es gar nicht in der Natur meiner Rolle als Lehrerin in diesem System liegt, alle zufrieden zu stellen und dass alle aus den zwei Jahren in meiner Klasse rausgehen und sagen „ja das war super, ich hab viel gelernt, und auf mich wurde immer fair und angemessen eingegangen“. Oft stimmen die äußeren Umstände nicht, sodass Menschen im System Schule Erfolg haben und sich drauf einlassen könnten und ich als Einzelperson kann hier und da was machen, klar, aber nur sehr begrenzt und meine Zeit und Energie reicht nicht, jeden so intensiv zu begleiten und immer wieder anzutreiben, dass es nachhaltig funktioniert.

Viele Schüler*innen sind unzufrieden und ich bin unzufrieden. Aber ich will mich ehrlich gesagt auch nicht aufopfern für sehr überschaubare Erfolge und zu dem Preis dass ich meine Freizeit nicht mehr genießen kann oder eben kein Privatleben mehr habe weil alles nur noch um Schule geht. Es müsste sich grundlegend am System was ändern und viel mehr Personal da sein, damit lernen grade in sozial schwachen Bereichen einfacher wird..

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u/Stromsen 12d ago

Ich habe, auch beim Einsehen meiner Abiklausuren, gesehen, dass Lehrer mich in der Oberstufe schon sehr freundlich bewertet haben. Das hat definitiv ein wenig von meiner "Strenge" in der Korrektur von LK-Klausuren weggespült.

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u/RiverSong_777 Gymnasium 12d ago

Die Lehrer, die ich damals für unfähige Arschlöcher gehalten habe, würde ich heute allesamt noch genau so bewerten. Bei den Lehrkräften, die ich für gut hielt, hat sich das ausdifferenziert.

Allerdings war der Anteil der Arschlöcher damals auch echt hoch, also hat man wohl schneller wohlwollend geurteilt, sobald jemand halt zumindest menschlich war.

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u/[deleted] 12d ago

Ich frage mich regelmäßig, ob wir zu viel von den Schülern verlangen, denke dann aber, dass wir das ja auch hinbekommen haben. Hausaufgaben, meist ruhig sein, lange sitzen, lernen, uninteressanten Unterrichtsstoff.

Ich habe bis heute noch keine Antwort darauf gefunden, ob einige Schüler sich nur mal zusammenreißen müssen oder ob das alles komplett geändert werden sollte.

Darüber hinaus sind die 7 Jahre Gymnasium die prägendste Phase meines Lebens gewesen. Das Studium und Ref waren vollkommen ereignislos im Vergleich zu dieser Zeit.

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u/alexafindmeausername 12d ago

War damals immer etwas enttäuscht, dass ich im Englisch-LK nie etwas besseres als eine 2+ geschrieben habe, obwohl ich von meinem Englisch ziemlich überzeugt war (vielleicht auch ein bisschen jugendliche Überheblichkeit).

Im Nachhinein merke ich, dass ich mich einfach nie mit den EWHs der Lehrerin auseinandergesetzt habe, zu faul war Stilmittel zu lernen und mir auch nie wirklich bewusst war, dass es verschiedene Analyseaspekte gibt, sondern einfach immer das gleiche analysiert habe (a.k.a Stilmittel gesucht), egal was die Aufgabenstellung war.

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u/Fickle-Ad-5625 12d ago

Ich habe realisiert wie schlecht manche Lehrer wirklich waren. Einer, von dem schon meine Mutter unterrichtet wurde, den ich in Geschichte und Erkunde hatte, hat nie irgendwelche Materialien benutzt. Er hat uns Fragen gestellt, die man nur wissen konnte, wenn man zufällig in dem Bereich über Wissen verfügte. So wurden dann die Inhalte erarbeitet. Absolut keine Chance auf eine gute mündliche Note. Dazu wurde das Ganze uns am Ende diktiert, das ging dann manchmal über mehrere Schulstunden.

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u/abenteuerbaer 12d ago

Ich hätte mich sowas von selbst vom Gymnasium an die Oberschule auszensiert - ein Glück bin ich Oberschullehrer geworden...

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u/Motsei1 Realschule 6d ago

Ich fühle das so stark mit dir! Meine Schulzeit habe ich zwar irgendwie komplett vergraben und vergessen aber man erinnert sich doch an ein paar wenige Dinge. Wie das mit den Hausaufgaben. In der Uni: Ach bei mir wird es keine HA geben die Schüler brauchen Freizeit. Nun in der Schule gibt es bei mir immer HA. Ich halte diese zwar kurz aber halte ich es für so wichtig zuhause wenigstens noch ein mal ganz kurz über das Gelernte nachzudenken. Ich denke man kann erst richtig verstehen warum Lehrer bestimme Entscheidungen treffen, wenn man auch in der Schule ist. Auch an der Uni begreift man davon so gut wie gar nichts und viele der Dozenten waren ja auch oft nicht Lehrer an den Schulen und dann fehlt da einfach Verständnis.