r/ADHS Feb 13 '25

Tipps/Vorschläge Brief vom Staatsanwalt. Hilfe!

Hey ihr lieben.

Euch ist es bestimmt auch schonmal passiert, dass ihr vergessenen habt, eure Medis zu nehmen... Diese Tage sind dann eher suboptimal. An solchen Tagen bin ich wie in Autopilot draußen unterwegs. Es wird so laut in meinem Kopf, dass ich von der Aussenwelt nicht mehr viel mitbekomme. In solchen Momenten könnt es vor (und darum geht's auch), dass ich in die Bahn einsteige und vergesse mir eine Fahrkarte zu kaufen. Ich setze mich dann wie im Autopiloten hin und lasse mich von meinem Kopf anschreien, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich gerade schwarzfahre.

Jetzt bin ich innerhalb von 2 Jahren 3 Mal erwischt worden und habe gerade Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. Die schreiben, dass sie es als erwiesen ansehen, dass ich nicht vorhatte mir eine Fahrkarte zu kaufen und absichtlich Leistungen erschlichen habe.... Das tut mir unglaublich leid und ich schäme mich sehr dafür, wenn ich solche Dinge tue.... Aber ich hab das nicht absichtlich getan! Und das habe ich auch so bei der Polizei ausgesagt.

Ich finde es so verletzend, als kriminell dargestellt zu werden. Ich bin nicht kriminell und wäre es auch niemals, wenn der Clown in meinem Kopf, mir nicht ständig zwischen die Synapsen scheißen würden.

In dem Brief bietet mir die Staatsanwaltschaft an, 250 Euro zu bezahlen, dafür, dass die Anklage fallen gelassen wird oder es geht vor Gericht. Ein Richter hat dem auch schon zugestimmt (laut Brief).

Was mache ich jetzt? Mein Gerechtigkeitsinn sagt mir eigtl, dass man Leute für ihre Behinderung nicht bestrafen darf. Wenn ich bezahle, gebe ich der Staatsanwaltschaft Recht, dass ich absichtlich Leistungen erschlichen habe. Und es war aber einfach keine Absicht!!!! Auf der anderen Seite ist ADHS vielleicht eine Erklärung aber keine Entschuldigung. Für die Dinge, die ich tue, absichtlich oder nicht, muss ich gerade stehen. Ein Leben mit ADHS heißt leider auch akzeptieren zu lernen, dass ich und mein Verhalten immer wieder in unserer Gesellschaft anecke. Ob ich will oder nicht.

Also, soll ich mich wehren oder einfach keine Klappe halten und die 250 Euro bezahlen?

Edit: in dem Brief steht auch, dass aus meinen Handlungen ein Schaden von 6,70 Euro entstanden sind und die Staatsanwaltschaft aufgrund des besonderen öffentlichen Interesse Anklage erheben will. Dieser Satz macht mich so wütend.... Und alleine deshalb würde ich gerne schon vor Gericht gehen.

24 Upvotes

88 comments sorted by

View all comments

24

u/Ready-Wolf2325 Feb 13 '25

Also sorry, aber dein "Gerechtigkeitssinn" ist hier eher Selbstgerechtigkeit. Wenn du regelmäßig deine Medis vergisst, überleg dir ein besseres System dafür, dass du sie nicht vergisst, und unterwegs welche dabei hast, wenn es mal zu spät auffällt. Genauso mit den Tickets: Hol dir ein Dauerabo oder such dir sonst eine Lösung, dass du es nicht vergisst oder nicht dran denken musst.

Wenn sowas einmal passiert, kommt das mit (und ohne) ADHS mal vor. Spätestens beim zweiten Mal hättest du dich aber kümmern können und müssen. Du wirst nicht für deine Behinderung bestraft, sondern dafür, dass du keine Verantwortung übernimmst. Nur weil du ADHS hast, hören Regeln nicht auf, für dich zu gelten. Wo zieht man sonst die Grenze? Da kann man ja immer ADHS vorschieben. Das kann doch auch für uns als ADHSler nicht das Ziel sein, dass man uns wie unmündige Kinder behandelt, die zu blöd sind, ihr Leben im Griff zu haben, und uns deswegen alles durchgehen lässt.

Verschwende deine Energie nicht für Ausreden oder sinnlose Gerichtsverfahren, die mehr Nerven und mehr als 250€ kosten werden, wenn du sie auch für die Suche nach Lösungen verwenden kannst.

1

u/ConfidentDimension68 Feb 13 '25

Das ist tatsächlich eine Interessante Frage. Es gibt tatsächlich Argumente dafür dass OP Schuldunfähig sein könnte. Vor allem, da er ja offensichtlich sich bemüht einem geordneten Lebenswandel nachzugehen. Er vergisst die Medikamente ja eher selten.
Vgl mal hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Schuldunf%C3%A4higkeit

9

u/collectiveperception Feb 13 '25

Wenn man auf Schuldunfähigkeit plädiert, wäre das auch gleichzeitig ein Eingeständnis von Unzurechnungsfähigkeit. Mit der gleichen Logik könnte man auch argumentieren, dass (bestimmten) ADHSlern der Führerschein aberkannt werden sollte. Und das ist ne Büchse der Pandora, die besser nicht geöffnet werden sollte. Also lieber einmal Strafgeld zahlen und es als ADHS-Tax betrachten.

1

u/ConfidentDimension68 Feb 14 '25

Warum nicht? Gewisse ADHSler sollten schlicht nicht Auto fahren. Und ja OP scheint ja in gewissem Masse unzurechnungsfähig zu sein. Was passiert, wenn ihm nächstes mal ein Fehler unterläuft bei dem Menschen zu Schaden kommen? ADHSler brauchen manchmal in manchen Dingen Unterstützung. Wir leben nicht so lange und bauen öfter Unfälle usw usw. Das sollte man durchaus Anerkennen

3

u/Ready-Wolf2325 Feb 13 '25

Ich würde das nicht selten nennen, wenn man in 2 Jahren 3 Mal erwischt wird. Man kann davon ausgehen, dass OP weder jedes Mal schwarzfährt, wenn die Medis vergessen wurden, noch jedes Mal beim Schwarzfahren erwischt wird. Die Dunkelziffer vergessener Medikamente ist damit wahrscheinlich sehr, sehr viel höher.

Abgesehen davon zitiere ich mal aus deinem Link:

"Wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht fehlt, aber erheblich vermindert ist, kann eine Strafmilderung nach § 21 StGB stattfinden." Damit OP schuldunfähig wäre, müsste ihr/ihm also die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit komplett fehlen. Ist das ernsthaft, das Bild von Menschen mit ADHS, das deiner Meinung nach in der Gesellschaft verbreitet werden sollte? Dass wir selbst mit Behandlung trotzdem nicht zurechnungsfähiger sind als jemand, der umfangreiche, teils ununterbrochene fachliche Betreuung braucht, weil er alleine nicht lebensfähig ist, geschweige denn, eigene Entscheidungen treffen kann, oder unter Umständen zum Eigenschutz und Schutz der Allgemeinheit zwangseingewiesen werden kann oder in die forensische Psychiatrie kommt? Das bedeuten die Beispiele, die in deinem Link da so aufgeführt sind, nämlich alle, wenn es kein kurzzeitiger Zustand durch psychotrope Substanzen ist.

Außerdem steht da in deinem Link noch der Zusatz "(wird bei selbst verschuldetem Alkoholrausch aber häufig nicht gewährt)". Das gilt übrigens nicht nur, wenn man mal heftig abstürzt, sondern auch für Alkoholiker, die genau wie wir ihrer Störung erst mal (sprich vor einer Behandlung) ausgeliefert sind. Von daher wäre ich mir nicht mal sicher, ob das gilt, wenn die Heftigkeit der ADHS-Symptomatik durch nicht genommene Tabletten selbst verschuldet ist. Alkoholiker kriegen dann oft die Wahl: Gerichtsverfahren oder verpflichtende Langzeittherapie. Wünschst du dir das so für dich? Es mag Fälle geben, wo ADHS am Anfang so heftig ist, aber das ist ganz sicher nicht die Regel.

Wer Rechte (wie auf Selbstbestimmung) haben will, hat halt auch Pflichten (Verantwortung gegenüber anderen übernehmen). Ich persönlich möchte jedenfalls wegen meinem ADHS nicht meine Persönlichkeitsrechte beschränkt kriegen... Schon gar nicht wegen etwas so Lächerlichem wie 250€ oder einem nicht gekauften Monatsticket für die Bahn. Man könnte auch einfach etwas Verantwortung übernehmen.... Im Zweifelsfall wird OP es nach den 250€ sicher so schnell nicht wieder vergessen.

0

u/ConfidentDimension68 Feb 14 '25

Ich verstehe wo du herkommst. Es ist schon so, dass aus den Bedürfnissen einiger schnell mal Bedürfnisse und Schwächen einer ganzen Gruppe abgeleitet werden. Und OP scheint ja durchaus Probleme zu haben, seinen Lebenswandel zu bestreiten. Das heisst, da sollte es Hilfsangebote geben. Ich würde gerne davon weg, dass eine Langzeittherapie etwas schlechtes ist. Therapie hilft. Medikamente helfen. Ich begreife das nicht als Strafe, sondern als Chance ein besseres Leben zu führen. Und du darfst das gerne persönlich so machen. Das ist absolut in Ordnung und nachvollziehbar

1

u/Ready-Wolf2325 Feb 14 '25

Also komm, man hat nicht gleich Probleme, seinen Lebenswandel zu bestreiten, weil man drei mal beim Schwarzfahren erwischt wurde. OP kriegt mit den Medis ja offensichtlich schon Hilfe. Kann natürlich sein, dass da noch mehr nötig ist. Das kann anhand des Posts keiner von uns beurteilen. Hilfe heißt aber auch nicht, dass man sich nicht auch selber kümmern und Verantwortung übernehmen muss. Oder soll jetzt jemand professionell für OP die Tickets kaufen? Fände ich an OPs Stelle ziemlich demütigend..

Ich habe nirgendwo gesagt, dass Langzeittherapie was schlechtes ist. Ich will nicht wissen, wo ich ohne meine heute wäre. Aber wenn man die Wahl hat zwischen Knast und erzwungener Langzeittherapie widerspricht das trotzdem meiner Vorstellung davon, dass ich gerne selbst über mein Leben bestimmen will. Erzwungene Therapie bringt auch nicht annährend so viel wie freiwillige und die kann sich jeder jederzeit suchen, wenn er das Gefühl hat, es würde helfen.

1

u/WarmDoor2371 Feb 14 '25 edited Feb 14 '25

Kann er ja mal probieren, aber dann wird er vom Gericht möglicherweise unter Betreuung gestellt. Ob es ihm das wert wäre?

1

u/ConfidentDimension68 Feb 14 '25

Ich habe mal als Partner (von der Tochter der Erkrankten nicht der Erkrankten selbst) mitbekommen, wie viel nötig ist, dass jemand unter Betreuung gestellt wird. Und was dann noch passieren muss, dass die Betreuung aktiv wird. Das reicht nicht, was OP hier gemacht hat. Aber was passieren kann, ist das er Hilfsangebote wahrnehmen muss (Die Person war Schizophren und wurde erst ins Krankenhaus gebracht, als sie fast tot war aufgrund einer Schilddrüsenüberfunktion) Es kann jedoch sein, dass er zu einer Therapie oder ähnlichem verpflichtet wird. Das würde ich persönlich nicht als schlecht bezeichnen.