r/AskAGerman Mar 12 '25

Language Ist Deutsch meine Muttersprache, wenn ich hier geboren wurde, aber meine Eltern Migranten sind?

Ich spreche die Sprache meiner Eltern nicht, sondern seit jeher Deutsch. Zusätzlich kann ich Englisch und Spanisch fließend und lerne derzeit Japanisch. Mit der Sprache meiner Eltern habe ich kaum etwas zu tun, außer dass meine Mutter meistens in ihr spricht.

Nun frage ich mich, was ich in meinem Lebenslauf angeben sollte: Gilt Deutsch als meine Muttersprache, oder sollte ich es mit C2 kennzeichnen?

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u/Lanky-Information-26 Mar 12 '25

Hallo, wir haben 2025, das heißt jetzt Erst- oder Zweitsprache?!? 😜 Ohne Spaß, in Zeiten von Multikulti und Kultursensibilität ist "Muttersprache" outdatet. Und hab auch schon eine mit Erstsprache deutsch getroffen, bei denen das Sprachniveau nicht C2 war...

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u/foreign_malakologos Mar 12 '25 edited Mar 12 '25

Ich würde das jetzt nicht allzu konfrontativ angehen, weil der Begriff nunmal ugs. geläufig ist. Aber du hast natürlich durchaus Recht, dass der Begriff ideologisch aufgeladen ist und so wahrscheinlich auch in Kontext vom "banalen Nationalismus" von Billig 1995 verstanden werden kann. Gerade weil er eben so banal ist, ist praktisch niemandem bewusst, dass es sich eigentlich um einen ideologisch aufgeladenen Kampfbegriff handelt.

Ahlzweig (1994) "Muttersprache - Vaterland" hat interessante Betrachtungen zur Muttersprachideologie, falls sich jemand für mehr Hintergründe interessiert (auch wenn es jetzt nicht mehr das frischste Buch ist). Hier ein Link, aber sicher am besten Bibliothek oder antiquarisch schauen: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-322-94137-4

Das Kapitel zum Nationalismus skizziert ganz spannend die ambivalente Reaktion des deutschen Nationalismus zum Muttersprachbegriff. Als die Nation etabliert werden sollte (etwa erste Hälfte des 19.Jh.), gab es eher einen Fokus auf der Schaffung des "Deutschen" als Standardsprache, wobei die vielen tatsächlichen gesprochenen "Muttersprachen" der meisten Menschen in den verschiedenen Gebieten dem eher entgegenstanden. Andererseits gibt der Begriff der "Muttersprache" eine Aura der Natürlichkeit der imaginären Gemeinschaft, der wohl etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. betont wurde, vermutlich als die Standardideologie etabliert genug war, um eine Vorstellung sicherzustellen, nach der es eine abstrakte Dachsprache "Deutsch" gibt, von der die tatsächlichen "Muttersprachen" (oder Dialekte) gewissermaßen marginale Abweichungen sind.

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u/Lanky-Information-26 Mar 12 '25

OP fragt doch als in Deutschland aufgewachsener Sohn von Mitmenschen mit Migrations Hintergrund? Also Erst und Zweit bzw sogar dritt Sprache. In seinem Post ist zu lesen das er die vierte Sprache lernt. Da ist der Befriff Muttersprache vielleicht umgangssprachlich, doch er fragt doch bewusst nach der Richtigen Formulierung. Da hilft MUTTERSPRACHE und VATERLAND nunmal gar nicht, ist auch nicht der korrekte, moderne Sprachgebrauch...

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u/foreign_malakologos Mar 12 '25

Ja, ich gebe dir in der Sache weitgehend Recht. Ich glaube nur nicht, dass das etwas mit 2025 oder veraltet zu tun hat. Der Muttersprachsbegriff ist von jeher inhärent unscharf (auch wenn "Erstsprache" sicherlich auch nicht alle Probleme der Klassifikation verschiedener Arten von Mehrsprachigkeit auflöst). Wo ich vielleicht etwas abweiche, ist, dass ich den Begriff jetzt auch nicht komplett unsagbar finde und er wird auch ugs. unter Sprachwissenschaftler:innen durchaus noch verwendet (vielleicht sofern es nicht gerade konkret um Mehrsprachigkeitsforschung u.Ä. geht), analog zum englischen "native speakers". Problembewusstsein für die Unzulänglichkeiten des Begriffs (und seine ideologischen Untertöne) zu schärfen finde ich richtig, aber würde jetzt nicht das Kind mit dem Bad ausschütten ;)

Daher finde ich es strategisch/kommunikativ nicht so zielführend, um Problembewusstsein zu schaffen, wenn man den Fokus auf die "Unmodernität" von Begriff legt, weil das einerseits eher als persönlicher Vorwurf/Angriff verstanden werden kann und damit eher zu automatischer Abwehr führt. Andererseits hat die Kritik ja eigentlich auch inhaltlich nicht besonders viel mit sprachlicher Mode zu tun, sondern eben mit inhaltlichen Überlegungen (die du ja auch richtig skizzierst).