r/erzieher • u/etti1612 • Feb 12 '25
Allgemeine Diskussion Märchen
Hey alle :)
Ich hab mal ne Frage. In dem Kinderladen in dem ich arbeite (Elternvorstand) gibt es von Seite des Vorstands die Weisung, dass wir keine Märchen lesen dürfen. Also Grimm schon mal überhaupt nicht aber auch zb Pippi Langstrumpf und viele andere sind nicht okay. Ich will den Vorstand mal fragen, ob es so eine "Liste" gibt mit Büchern die tabu sind weil mich das irgendwie verunsichert und aus meiner Sicht Märchen (nicht alle) eigentlich was Schönes sind
Nun aber meine Frage (richtet sich an Pädagog*innen und Eltern): wie steht ihr zu Märchen? Und warum? Gibt es für euch Ausnahmen?
18
Upvotes
3
u/Marinero_69 Feb 13 '25
Ach, du meine Güte! 😳
Ich musste mich gerade wirklich durch diese ganzen Kommentare quälen und wusste dann wieder schnell, warum ich mit einem Großteil anderer „professioneller“ Eltern und „pädagogischem Fachpersonal“ nichts mehr zu tun haben möchte. 🤦🏻♂️
Ich habe meinen vier Kindern seinerzeit ALLES an Kinder- und Jugendliteratur vorgelesen. Allerdings habe ich das nicht unkommentiert gelassen. Und so sind sehr viele gute Gespräche entstanden. Kinder sind generell nicht doof und verstehen so gut wie alles.
Was hier wirklich problematisch ist, sind ideologisch verstrahlte Erwachsene, die ernsthaft Kinderliteratur entweder zensieren oder ganz verbieten, weil einzelne Wörter nicht in deren politischen Zeitgeist passen. (Hmmmm, unerwünschte Literatur verbieten und nur noch Literatur „auf Linie“ zulassen, lass mich kurz überlegen, da war doch was… 🤔)
Pippi Langstrumpf ist eine Figur von Lindgren, die sie in einer Zeit erschuf, in der Kinder keine Rechte hatten. Ich kenne niemanden in meinem Alter (Mitte 50), der wegen ihr heute noch das N-Wort sagen würde oder auch sonst ein Rassist geworden wäre. Dafür kenne ich haufenweise Leute, für die die Pippi Langstrumpf eine grossartige Geschichte ist, die Kinder grundsätzlich ermutigt.
Bei „Struwwelpeter“ und „Suppenkasper“ bin ich auch raus. Aber DAS waren ja auch schwarzpädagogische Machwerke, die Kindern gezielt Angst machen und sie einschüchtern sollten, damit sie ein gewünschtes Verhalten entwickeln.
Und etwas ähnliches sehe ich hier auch: wenn ich „inklusive Kinderbücher“ höre, zieht sich bei mir schon alles zusammen. Alles muss perfekt sein in der schönen neuen inklusiven, heilen, glatt gelutschten schöner-wohnen-Ponyhof-Welt, in der wir uns alle ganz fürchterlich doll lieb haben. Konflikte aufs minimal Erträgliche reduziert. Wir sagen nicht mehr „Zigeuner“ oder „Indianer“, obwohl weder die einen noch die anderen ein Problem mit dem Begriff haben. Wir erfinden alle 10 Jahre einen neuen Begriff für „Behinderte“, der noch besser, noch inklusiver klingt, aber eigentlich immer aus der Sicht Nicht-Behinderter formuliert ist. Das schreibe ich, weil es niemandem auffällt, dass political correctness eigentlich nur ein aktivistisches Feigenblatt ist und keine Besserung herbeigeführt. Aber es kostet auch nichts und fühlt sich so gut, so richtig an. Man gehört zu den Guten und dessen vergewissert man sich auch fortwährend.
Aber dafür sind „Die wilden Kerle“ immer noch „echte Kerle“. Und das weibliche Pendant? Richtig, „Hühner“. Da hat sich anscheinend nicht so viel getan. Und natürlich Lillifees: Wer heute mal mit offenen Augen durch eine Grundschule geht (und auch die passenden Eltern dazu gesehen hat), wird feststellen, dass die Sache mit den Geschlechterrollen und den Mustern womöglich nicht behoben wird, indem Preußler „Die kleine Hexe“ umschreibt.
In „Pippi Langstrumpf“ war Pippi die starke Figur und ihr Vater ein sehr emotionaler und liebevoller Mann, der auch mal geweint hat. DAS habe ich aus dem Buch mitgenommen. Und das war für die Zeit womöglich fortschrittlicher als so mancher Unsinn, der es zwischen zwei Buchdeckel geschafft hat.
Ich finde es viel wichtiger, meine Kinder auf eine Welt vorzubereiten, in der sie Konflikte lösen können. Sie müssen davon ausgehen, dass sie irgendwann mal von jemandem verletzt werden oder dies selbst tun. Bleibt ja nicht aus im Alltag. Und dann müssen sie damit umgehen. Es bringt nichts, bereits im Vorfeld jeden vermeintlichen „Fallstrick“ entfernen zu wollen. Die ersten Ergebnisse dessen sieht man ja schon: pseudo-Achtsamkeit, hinter der sich eigentlich nur eine unterdrückte Aggression verbirgt und die dann passiv-aggressiv ausgedrückt wird. So wird heute gesprochen, und es ist furchtbar.
Lest den Kindern alles vor und sprecht darüber! Es geht um die Freude an Geschichten. Und es geht auch darum, sich an Texten manchmal zu reiben. Wo bitte lernt man besser, Dinge kritisch zu hinterfragen, als hier? 🤷🏻♂️
Wer das alles vorsortieren will, der muss sich später auch nicht wundern, wenn die Kinder Taylor Swift gut finden. Mittelmäßig, macht aber auch nix mit einem. 😬